Aktuelles 2/2010
In der berühmten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 wurden Videomessverfahren, bei denen der gesamte Verkehr aufgezeichnet wurde, für grundrechtswidrig erklärt.
In Aktuelles 1/2010 wurde bereits erörtert, dass seit jener Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umstritten war, ob und inwieweit diese Entscheidung auch auf so herkömmliche Blitzerfotos übertragen werden kann. Einige Rechtsanwälte haben in der jüngeren Vergangenheit entsprechend argumentiert und für viele Mandanten auch Erfolge durch Einstellungen oder sogar Freisprüche erzielt.
Das Bundesverfassungsgericht sah aufgrund der Bildaufnahmen einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben. Zur Rechtfertigung jenes Eingriffs bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die es im Übrigen bis heute nicht gibt.
Um nicht nahezu jeden Verkehrssünder im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts laufen lassen zu müssen, hatten viele Instanzengerichte als Rechtfertigung für so genannte verdachtsabhängige Bildaufnahmen eine Bundesnorm gefunden, und zwar § 100 h Abs. 1, Nr. 1 StPO, dessen Wortlaut wie folgt lautet:
„Auch ohne Wissen der Betroffenen dürfen außerhalb von Wohnungen
1. Bildaufnahmen hergestellt werden,
2. sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel verwendet werden,wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre.“
Auf den ersten Blick erscheint es plausibel, diese Norm anzuwenden. Allerdings schauen Juristen schon etwas genauer hin. In der Norm ist die Rede von „Betroffenen“. Zu einem Betroffenen wird man erst, wenn ein Verfahren schon eingeleitet wurde – d. h. es muss schon ein Verfahren geben. Ein Verfahren kann aber nur durch eine individuelle Entscheidung eines Beamten, mithin einer natürlichen Person, eingeleitet werden. Eine Maschine oder ein Fotoapparat sind keine Beamten, auch gibt es hierdurch keine individuellen Entscheidungen.
Weiter muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich bei § 100 h StPO um eine Norm aus dem Strafprozessrecht handelt, die nur über die Verweisnorm § 46 Abs. 1 OWiG überhaupt in Ordnungswidrigkeitenverfahren angewendet werden kann. Man kann mit einiger Gewissheit sagen, dass bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom August 2009 mit Sicherheit nicht ein einziger Amtsrichter in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgrund irgendeines Messverfahrens auch nur ansatzweise an diese Norm als erforderlichen Ermächtigungsgrundlage gedacht hat.
Ebenso dürfte auch der Gesetzgeber bei Schaffung jener Norm an ganz andere Sachverhalte gedacht haben als an Blitzerfotos.
Nun schaffte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 05.07.2010 insoweit Klarheit, indem man in Karlsruhe grünes Licht für eine Anwendbarkeit von § 100 h Abs. 1, Nr. 1 StPO für verdachtsabhängige Messungen gab.
Allerdings stellt sich trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immer noch die Frage, ob § 100 h Abs. 1 StPO in solchen Konstellationen auch zutreffend herangezogen wird, gerade mit Hinblick darauf, dass es sich regelmäßig um vollautomatische Messungen und Aufnahmen handelt. Das Bundesverfassungsgericht schießt insoweit den Ball zurück, in dem klargestellt wird, dass über die zutreffende Anwendbarkeit von § 100 h Abs. 1 StPO im Einzelfall die Instanzengerichte zu entscheiden haben.