Aktuelles 1/2010

Im Jahr 2009 sorgte im Verkehrsrecht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 11.08.2009 (Az. 2 BvR 941/08)
für Furore und machte vielen Temposündern Hoffnung. 

Das oberste deutsche Gericht hatte erklärt, dass eine bestimmte Art der Verkehrsüberwachung gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstößt, mit der Folge, dass sich für auf diese Art erzielte Messergebnisse ein Beweiserhebungsverbot ergibt.

Beim betreffenden Messverfahren wurde von einer Autobahnbrücke aus eine Videoaufzeichnung des gesamten Verkehrs hergestellt, um dann im Nachgang mit einer speziellen Software diese Aufnahme auszuwerten. Erst bei dieser späteren Auswertung am Computer wurden die konkreten Verstöße einzelner Verkehrsteilnehmer festgestellt und dann verfolgt. Da solche Videoaufnahmen von Verkehrsteilnehmern einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmungen darstellen und eine für solche Grundrechtseingriffe erforderliche bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage fehlt, ist ein solches Verfahren als grundrechtswidrig und damit grundsätzlich rechtswidrig anzusehen.

Nun muss man wissen, dass solche rechtswidrig beschafften Beweise nicht automatisch unverwertbar sein müssen. Es kann durchaus auch ein an für sich rechtswidrig beschaffter Beweis dennoch Grundlage für eine Verurteilung sein. Aus einem Beweiserhebungsverbot ergibt sich nicht zwangsläufig auch ein Beweisverwertungsverbot. Es muss vielmehr eine Abwägung im Einzelfall erfolgen. Derartige Abwägungen sind bekannt aus den Fällen, in denen bspw. ein Bluttest ohne richterliche Anordnung durchgeführt wurde.

Was die Videomessverfahren anbelangt, hat sich inzwischen eine veritable Rechtsunsicherheit entwickelt.

Dies führte dazu, dass mit guten Argumenten von einigen Gerichten und natürlich auch der Anwaltschaft die Auffassung vertreten wird, dass auch sonstige Messverfahren, wo eine Identifizierung mittels Kamera erfolgt, gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen.

So haben Amtsrichter in Wurzen und Eilenburg eine gewisse Berühmtheit (http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,662509,00.html) erfahren, weil dort nahezu sämtliche Verfahren, in denen der Tatnachweis über Fotoaufnahmen von so genannten Blitzern geführt wurde, eingestellt wurden.

Von vielen Gerichten wird jedoch zumindest für normale Blitzerfotos als Eingriffsgrundlage § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO angewendet. Nun muss man wissen, dass diese Norm aus dem Strafprozessrecht stammt und nur über das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) auch im Bußgeldverfahren angewendet werden kann. Man kann sicher mit einiger Gewissheit sagen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung jener Norm für das Strafprozessrecht sicher nicht an Blitzerfotos gedacht hat. Da man aber laut dem Bundesverfassungsgericht wohl auch für Blitzerfotos eine Ermächtigungsgrundlage benötigt, muss halt diese Norm herhalten. Zumindest bei der Auslegung jener Norm dürfte man kaum mit dem mutmaßlichen „Willen des Gesetzgebers“ argumentieren können. Jedenfalls vor jener berühmten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat gewiss kein Amtsrichter auch nur einen Gedanken an § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO verschwendet. Nun aber brauchte man halt ein entsprechendes Bundesgesetz, es sei denn man wollte wie in Wurzen oder Eilenburg alle Temposünder freisprechen.

Sicher kann man damit argumentieren, dass das vom Bundesverfassungsgericht zumindest vorübergehend „vernichtete“ Videomessverfahren im Gegensatz zu anderen Blitzern zunächst einmal alle Verkehrsteilnehmer aufnimmt, während dessen bei gewöhnlichen Blitzern nur Derjenige fotografisch festgehalten wird, der auch mutmaßlich zu schnell war.

So richtig rechtlich sattelfest ist diese Argumentation aber auch nicht.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass eben auch § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO ein gegen einen Betroffenen gerichtetes Verfahren voraussetzt. Im der deutschen Rechtswirklichkeit ist es so, dass ein staatliches Ermittlungsverfahren nur durch eine Ermittlungsperson (bspw. Polizeibeamter) eingeleitet werden kann und nicht durch eine Maschine. Ein tatsächliches Verfahren wird auch bei den Blitzerfotos erst dann eingeleitet, wenn die Fotos ausgewertet werden. Doch dann wurden die Fotos eben schon gemacht, und zwar ohne dass es zu diesem Zeitpunkt schon ein Verfahren gab.

Bedenklich sind inzwischen zu verzeichnende Tendenzen, mit denen die einmal für teures Geld beschaffte Videotechnik mit fragwürdigen technischen und juristischen Konstruktionen doch wieder zum Einsatz kommt. Hier wäre es zu begrüßen, wenn diesen Tendenzen ein rechtlicher Riegel vorgeschoben würde. Eine insoweit zu unterstützende Rechtsauffassung hat insbesondere eine Kammer des OLG Düsseldorf in ein Urteil gefasst.

Es hat aber leider den Anschein, dass man bei Geschwindigkeitsverstößen im Interesse einer Verfolgbarkeit auch mal gern die klare Ansage des höchsten deutschen Gerichtes nicht wirklich ernst nimmt. Vielleicht sollte daher bei den von einigen Bundesländern inzwischen wieder angewendeten „modifizierten“ Videomessverfahren erneut das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Es steht nämlich zu befürchten, dass aufgrund einer gewissen Einnahmeorientiertheit weitere Bundesländer folgen.

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